Dr. Holger Poppenhäger ist seit Dezember 2014 Innenminister des Freistaats Thüringen im Kabinett Ramelow. Zuvor war er von November 2009 bis Dezember 2014 Justizminister. Im Interview mit Ralf Leifer und Anita Grasse vom DJV-Landesverband Thüringen spricht über Konflikte zwischen Berichterstattern, Demonstranten und der Polizei.
Bei Demonstrationen muss die Polizei die Versammlungsfreiheit ebenso schützen wie die Pressefreiheit. Wie lässt sich der schwierige Spagat meistern?
Ich glaube, dass unmittelbare Gespräche zwischen den Medienvertretern und der Polizei im Vorfeld und vor Ort Missverständnissen und Konfliktsituationen vorbeugen können. Jede Seite sollte bemüht sein, Verständnis für die Arbeit der anderen aufzubringen.
Die Thüringer Polizei verfügt über zehn Pressestellen. Bei Einsatzlagen sind Pressesprecher vor Ort. Welche Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht für die Symbiose mit den Medien erfüllt sein?
Diese vor Ort eingerichteten Pressestellen sind über die jeweilige Einsatzlage, zum Beispiel auch über Gefährdungserkenntnisse, bestens informiert. Die Pressevertreter sollten sich zunächst dort auch als solche zu erkennen geben, in dem sie sich zum Beispiel mit ihrem Presseausweis legitimieren. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal betonen, dass ich die Wiedereinführung eines bundeseinheitlichen Presseausweises sehr begrüßen würde und nach Kräften unterstütze.
Ich sage es aber gern auch einmal grundsätzlich: Soweit keine Ausnahmen zugelassen werden, gelten polizeiliche Verfügungen wie Absperrmaßnahmen auch für Pressevertreter. Die Journalisten sollten Festlegungen der Polizei nicht unter dem Gesichtspunkt der Behinderung der Pressearbeit sehen, sondern als erforderliche Sicherheitsmaßnahmen.
Was können Journalisten tun, um selbst für mehr Sicherheit für sich und ihr Team bei Großeinsatzlagen zu sorgen?
Wie ich eingangs bereits sagte, sollten sich die Medienvertreter bereits im Vorfeld und bei aktuell auftretenden Fragen oder Problemen im Rahmen ihrer Tätigkeit vor Ort grundsätzlich an die Beamten wenden, die zum Einsatzabschnitt „Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ (EPÖA) gehören. Die Mitarbeiter dieses Einsatzabschnitts sind als Ansprechpartner für Medienvertreter vor Ort deutlich erkennbar. Und wie mir unsere Beamten berichten, werden sie bei uns in Thüringen auch als solche akzeptiert und in Anspruch genommen. Die Hinweise der Polizei sollten konsequent befolgt werden, damit sowohl Medienvertreter als auch Polizei ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen können. Die Medienvertreter sollten ihren Presseausweis grundsätzlich offen und deutlich sichtbar auf der Oberbekleidung tragen. Sie sollten provozierende Verhaltensweisen gegenüber Teilnehmern öffentlicher Veranstaltungen unterlassen und die Auswirkungen auf die polizeiliche Lage insgesamt beachten. Auch eine neutrale, objektive und faktenorientierte Berichterstattung trägt zweifellos zur Deeskalation bei.
Journalisten müssen sich ins Geschehen begeben, um differenziert und umfänglich berichten zu können. Was können Polizisten tun, um diese Arbeit zu unterstützen und eine Eskalation zu verhindern?
Ist mit Gewalttätigkeiten zu rechnen, prüft die Polizei, den Pressevertretern zum eigenen Schutz eine geschlossene Berichterstattung unter Begleitung von Polizeibeamten anzubieten oder Sicherheitshinweise für die Berichterstattung zu geben.
Wo gibt es gefährliche Bereiche, sind schon gewalttätige Teilnehmer aufgefallen?
Gerade die emotional hoch aufgeladene Meinungslage zur Problematik „Flucht und Asyl“ birgt aber für eine freie und ungehinderte Berichterstattung Gefahren in sich, welche nicht allumfänglich sofort unterbunden werden können. Darüber hinaus können tätliche Angriffe gegen Berichterstatter natürlich nur unterbunden werden, wenn Polizeibeamte im unmittelbaren Umfeld anwesend sind. Es bleibt auch festzuhalten, dass ein unmittelbarer Schutz vor verbalen Angriffen und Beleidigungen aus Menschenmengen heraus oder über die sozialen Netzwerke während oder nach Berichterstattungen grundsätzlich nicht möglich ist.
Wie sollten sich Journalisten bei Angriffen von Demonstranten verhalten?
Strafbare Handlungen sollten betroffene Journalisten zur Einleitung aller erforderlichen Strafverfolgungsmaßnahmen so schnell wie möglich der Polizei mitteilen. Ein eigenes Vorgehen sollte unter dem Aspekt der persönlichen Sicherheit unterbleiben.
Wäre es eine gute Idee, eine Art Einsatztraining für Journalisten anzubieten, die öfter aus Großeinsatzlagen berichten, ähnlich wie es die Bundeswehr mit Reportern macht, die aus Kriegsgebieten berichten wollen?
Ich halte von dieser Idee gar nichts. Es widerstrebt mir zutiefst, eine Veranstaltung in unserem öffentlichen Raum als eine Art Kriegsgebiet darzustellen. Wie ich schon sagte, kann insgesamt festgestellt werden, dass Polizisten und Medienvertreter in Thüringen mehrheitlich zu einem kooperativen Miteinander finden. Und das völlig ohne Einsatztraining. Es geht nicht darum, die Berichterstattung über konfliktträchtige Ereignisse einschränken zu wollen. Ich habe auch den Eindruck, dass es manchem, der sich auf diese Weise schulen lassen will, im Zweifelsfall nicht um die Objektivität seiner Beiträge, sondern im Wettbewerb um Auflagen und Einschaltquoten um eine möglichst sensationelle Aufmachung geht. Das widerspricht nicht selten den Persönlichkeitsrechten derer, über die auf diese Weise berichtet werden soll. Hier die richtige Balance zu finden, ist sicher nicht leicht und immer wieder neu auszuhandeln.