Der Journalist Michael Klarmann berichtet seit vielen Jahren vor allem über die rechtsextreme Szene in Nordrhein-Westfalen. Auch in Vorträgen – unter anderem für den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) – gibt er seine Erfahrungen weiter und berichtet über die zunehmenden Schwierigkeiten in diesem speziellen Feld der Berichterstattung. Frank Überall hat ihn für zu den Herausforderungen seines besonderen Jobs befragt.
Überall: Was Journalistinnen und Journalisten jetzt in der ganzen Republik erleben, kennen Sie schon seit Jahren: Beschimpfungen und Gewalt von Seiten der Demonstranten. Wie hat sich die Situation in den letzten Monaten oder Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt?
Klarmann: Bis etwa 2012 war ich selbst als Journalist für Rechtsextreme ein personifiziertes Feindbild. Da bin ich regelmäßig verbal und auch körperlich angegangen worden bin. Das hat sich für mich vorübergehend ein wenig gebessert, weil in meiner Region die so genannte „Kameradschaft Aachener Land“ verboten worden ist. Die Neonazis, die da aktiv waren, waren in dem Moment eingeschüchtert. Das Verbot hat also seinerzeit etwas bewirkt. Heute erlebe ich, dass sich die Stimmung gegen Journalisten bei Demonstrationen insgesamt stark verändert hat. Da gibt es Leute, die relativ normal erscheinen, vermeintlich unpolitisch aber natürlich rechts-offen. Und die fühlen sich plötzlich berufen, Journalisten in Gespräche zu verwickeln und sie anzugehen – ähnlich wie sie auch Politiker angehen.
Was bedeutet das konkret?
Der Ruf ‚Merkel muss weg‘ geht oft einher mit dem pauschalen Vorwurf der ‚Lügenpresse‘. Das sind scheinbar nicht nur organisierte Neonazis. Vielmehr ist es eher so, dass diese andere Leute ‚anspitzen‘, also eher Mitläufer, die sich am Rand bewegen. Das führe ich eindeutig auf die Entwicklung von Pegida zurück – diesen Demonstrationen von gewissen Mischszenen, rechten Verschwörungstheoretikern, ‚normalen‘ Fremdenfeinden und organisierten Rechtsextremisten und Hooligans.
Verbale Gewalt mag nerven und persönlich berühren. Sie ist aber nur bedingt gefährlich. Dramatischer sind körperliche Übergriffe. Solche haben Sie auch selbst aushalten müssen?
Ja, ich habe in der Vergangenheit viele Erfahrungen damit sammeln müssen. So bin ich bei einer Demonstration körperlich attackiert worden. Zusätzlich gab es Sprechchöre aus einer Demonstration heraus, wo dann 250 Leute gemeinsam anstimmten, dass ich ein Hurensohn wäre. Und es gab eine relativ konkrete, letztlich – wie man das ermitteln konnte – falsche Bombendrohung gegen mich.
Haben Sie manchmal Angst, Ihren Job als Journalist bei Demonstrationen zu machen?
Nein, aber es man muss immer auf sich aufpassen. So genannte besorgte Bürger und bekennende Neonazis versuchen Journalisten bei Demonstrationen eben gerne in Diskussionen zu verwickeln. Daraus entwickelt sich möglicherweise ein Streitgespräch, dann gibt ein Wort das andere, und plötzlich entwickelt sich da eine starke zusätzliche Aggressivität. Wenn man in solchen Situationen klar als Journalist erkennbar ist, kann das ziemlich gefährlich werden.
Inwiefern?
Mir ist es letztens bei einer Versammlung in Mönchengladbach passiert, dass mich Hooligans nach einer Demonstration auf der Heimreise – also auf dem Weg zum Auto – entdeckt haben. Die haben relativ schnell versucht uns zu umringen, uns in alle Richtungen den Weg abzusperren. Es waren etwa zehn Personen. Da wurden wir körperlich nicht attackiert, aber es war eine bedrohliche Situation. Ich denke, das hat auch zugenommen, und das hat eine ganz neue Qualität, dass sich rechts-offene Hooligans im Innenstadtbereich – weit ab von Demonstrationen -bewegen und gleichzeitig versuchen, Gegendemonstranten oder eben Journalisten aufzulauern, die sie vorher bei Versammlungen gesehen haben. Da ist dann meistens auch keine Polizei, außerhalb dieser Versammlungen. Und: Passanten in einer Fußgängerzone, wissen gar nicht richtig, was da passiert. Das ist schon eine Zuspitzung.
Bei den Demonstrationen selbst werden häufig Kameras weg geschlagen, Flaschen, Steine oder Knaller geworden. Haben Sie den Eindruck, dass alle Kolleginnen und Kollegen wissen, auf was sie sich da einlassen, wenn sie dort berichten wollen?
Früher war das sicher nicht immer so. Mittlerweile glaube ich, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen, auch durch die Entwicklung von Pegida, damit arrangiert haben und dazu gelernt haben. Viele wissen, wie man sich heute schützt, zum Beispiel mit einem Fahrrad- oder Skaterhelm. Teilweise wurden wohl auch Mitarbeiter von Redaktionen oder Gewerkschaften wie dem DJV geschult. Die Polizei ist in einigen Regionen sogar dazu übergegangen, Journalisten vernünftig über Sicherheitsbelange aufzuklären, wenn das gewünscht ist, wenn sie bedroht werden oder wenn es Vorfälle gab. Wobei ich glaube, dass es auch Leute gibt, die man etwas abfällig ‚Sitzredakteure‘ nennt: Die sitzen in den Redaktionen und haben gar nicht so richtig den Blick dafür, was die Leute auf der Straße manchmal erleben.
Sie sprachen von Fahrrad- oder Skaterhelmen zum Selbstschutz. Macht einen das nicht gerade zur gut sichtbaren Zielscheibe, wenn man so etwas trägt?
Ich habe einen Skaterhelm, wo ein deutlich sichtbarer Aufkleber mit der Aufschrift ‚Presse‘ drauf ist. Das heißt, man erkennt direkt, was los ist. Ich finde das sehr wichtig, wenn Polizeibeamte einen sehen. Denn theoretisch ist ein Helm eine passive Bewaffnung und auf Demonstrationsgeschehen verboten. Ausnahmsweise darf man ihn zum eigenen Schutzmitführen und das dürfen wir Journalisten. Aber ich würde da differenzieren: Für Kollegen, die reine Textarbeit machen, also mit dem Notizblock irgendwo stehen und gegebenenfalls eine Entwicklung auch aus der Ferne beobachten können, kann ein Helm ein zusätzlicher, unnötiger Provokationspunkt sein. Für fotografierende oder filmende Kolleginnen und Kollegen macht ein solcher Schutz aber Sinn.
Sie tragen Ihren Schutzhelm meist am Rucksack festgebunden, setzen ihn nur in Gefahrensituationen wirklich auf?
Ich habe mir den Helm damals gekauft, als es am Rande einer Antifa-Demo, also einer linken Demo, zu Ausschreitungen auf Bahngleisen kam. Da stand ich völlig schutzlos als Fotograf ohne Helm am Rande des Steinhagels. In dem Fall konnte ich mich der Situation sehr schlecht entziehen und wäre froh gewesen, hätte ich den Helm gehabt. Später erlebte ich in Stolberg bei einem Neonazi-Aufmarsch, wie Kracher auf uns geworfen worden sind und die Neonazis auch Raketen in die Luft geschossen haben. Die fielen dann wieder runter als zuvor explodierter Schutt: da kann auch ein kleines Stöckchen einer Rakete sehr wehtun, wenn es aus einigen Metern wieder runter fällt. Da fand ich den Helm wirklich passend und habe ihn auch angezogen
Fühlen Sie sich von der Polizei bei solchen Einsätzen ausreichend geschützt?
Ich habe bei solchen Einsätzen bei uns in der Region – im Großraum Aachen, Düren, Heinsberg, Mönchengladbach, Köln – überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Einerseits, was es bedeutet den eigenen Schutz zu organisieren, wenn Bedrohungen oder Bombendrohungen sich ins Privatleben schieben. Da wird man natürlich nicht von einer Hundertschaft beraten, sondern von den anderen Einrichtungen der Polizei. Andererseits kenne ich dadurch, dass ich regional arbeite, auch viele Leute bei den Hundertschaften vom Sehen her – und die mich.Es wäre, glaube ich, etwas ganz anderes, wenn ich beispielsweise in Dresden wäre und würde dort attackiert. Man muss immer gucken, wie die Polizei drauf ist. Ich habe immer eher positive Erfahrungen gemacht, kenne aber auch Situationen, in denen die Polizei anders arbeitet und wo die Polizei Journalisten als Provokateure, als Störenfriede betrachtet. Ich habe in Bad Nenndorf mal erlebt, dass die Polizei die Journalisten komplett vom Neonazi-Aufmarsch weg haben wollte, weil sie gesagt hat: Ihr provoziert uns die Neonazis, dann haben wir die nicht unter Kontrolle. Da war es also nötig, dass viele Leute intervenieren mussten, damit man überhaupt zur Berichterstattung ran kommen konnte. Ich weiß auch, dass es Polizisten gibt, die sagen, wir wollen hier keine Journalisten. Die quasi den Rechten ein bisschen ‚zuspielen‘.
Und wie reagiert die Justiz, wenn man als Journalist Strafanzeigen nach Übergriffen erstattet?
Wenn Journalisten Anzeige erstattet haben gegen Leute, die sie attackiert haben, wird das dann auch oft öffentlich kommuniziert. Aber wenn es Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder Gerichtsverhandlungen gibt, ist das aus dem Bild der Öffentlichkeit häufig wieder raus. Oft ist es bei Angriffen so, dass die Täter von mir nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnten. Bei einer Morddrohung ist es mir schon mal passiert, dass ich alleine da stand und keinen einzigen Zeugen hatte. Da macht es eigentlich fast keinen Sinn, Anzeige zu erstatten. Wenn dann vier Neonazis daneben stehen und alle bei den Ermittlungen oder im Gerichtsverfahren sagen würden, das hat der mutmaßliche Täter nicht gesagt, dann stehe ich da alleine. Manchmal ist es auch schwierig einen Täter zu ermitteln, wenn man an eine vermummte Gruppe gerät.
Ist Ihnen das schon passiert?
Ja, dann fragte die Polizei später, ob ich Täter erkannt habe. Da musste ich sagen: Nein. Das ist ein zunehmendes Problem, dass man nicht genau weiß, wer einen attackiert. Da kommt auch ein neuer Aspekt im Umfeld der Pegida-Kundgebungen hinzu: Organisierte Neonazis kenne ich vom Sehen her. Wenn die einen angreifen, kann man die teilweise erkennen. Kommen aber irgendwelche unbekannten Leute, die teilweise angespitzt worden sind von Neonazis, dann weiß man meistens nicht, wer es ist.
Aber Sie machen Ihren Job immer noch gerne? Oder haben Sie schon mal überlegt, das alles aufzugeben?
Gelegentlich habe ich darüber nachgedacht. Da habe ich mir gesagt: Das Thema, das ich üblicherweise bearbeite, langweilt oder frustriert mich jetzt ein bisschen. Da denke ich, ich würde jetzt gerne mal was Entspannteres machen. Das hatte dann weniger den Hintergrund, dass ich mich eingeschüchtert gefühlt hätte und deshalb aufhören wollte. Es war eher so ein ironischer Stoßseufzer zu denken: Mensch, ich würde jetzt gerne einfach mal zum Schützenverein oder zum Kaninchenzüchterverein, beruflich mal halbwegs normale Leute kennenlernen. Aber ich habe mir über viele Jahre eine gewisse Kompetenz erarbeitet. Und ich mache als Journalist den Job eben auch, weil er einfach nötig ist und weil ich davon überzeugt bin, dass er gemacht werden muss. Wir brauchen Fachjournalisten – solche, die sich mit der Mafia oder mit Rockergruppen auseinandersetzen oder mit islamistischen Extremisten vom IS. Und genauso brauchen wir auch Fachjournalisten, die den Rechtsextremismus beobachten und darüber berichten.