Seit mehr als 20 Jahren berichte ich über Aufmärsche von Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Angenehm war das nie. Aber was man in diesen Monaten bei solchen Demonstrationen erlebt, stellt alles in den Schatten. Zum Beispiel am 9. Januar 2016 in Köln. Das war der Samstag nach den Silvester-Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof. Die Pegida-Bewegung hatte zur Kundgebung aufgerufen. Angeblich „nur“ besorgte Bürger. Im Vorfeld hatten sich die Organisatoren von jeglicher Form der Gewalt distanziert. Zumindest verbal.

Als ich aus Berlin am Kölner Hauptbahnhof ankam, war die Szene schon etwas eigenwillig. Aggressiv anmutende Männer setzten im Bahnhofsgebäude schon zu dieser Mittagszeit beherzt die Bierflasche an den Mund, nahmen tiefe Schlücke und bereiteten sich auf ihre Demonstration vor. Die Polizei sollte später beschreiben, dass aus dem Ruhrgebiet gewaltbereite Personen angereist waren. Viele Vertreter der Hogesa-Bewegung sind dabei. „Hooligans gegen Salafisten“ nennen sie sich selbst. Ihr Lebenskonzept als Hooligan steht für eine Grundhaltung der Gewalt. Zuschlagen ist für sie das bevorzugte Kommunikationsmittel. Auch heute, scheint es.

Pure Aggressivität ist spürbar

So ist die Stimmung entsprechend angespannt, als sich der Demonstrationsplatz langsam füllt. Vorherrschende Frisur ist die Glatze. Muskelbepackte Männer bestimmen das Bild. Ihre Haut oft ausschweifend tätowiert. So mancher hat die halbe Kopfhaut mit Parolen beschrieben. In den Blicken spürt man pure Aggressivität.

Für Medienvertreter ist der Aufenthalt im rechten Demonstrationsbereich in diesen Stunden alles andere als angenehm. „Guck nicht so blöd“, wird ein Journalistenkollege angeblafft. Gegenüber Frauen sind die Kommentare handfester, sexistischer. Als eine Kollegin widerspricht, baut sich ein rechter Demonstrationsteilnehmer vor ihr auf, greift sich selbst in den Schritt und bedroht sie. Sexismus ist hier offenbar salonfähig, auch wenn es bei dieser Kundgebung eigentlich auch darum gehen soll, gegen sexistische Übergriffe der Silvesternacht zu demonstrieren.

Flaschen bestimmen das Bild

Zwischendurch konsumieren die selbst ernannten Retter des christlichen Abendlandes ausführlich alkoholische Getränke. Obwohl die Polizei mehrfach per Lautsprecherdurchsage dazu auffordert, Glasbehälter doch bitte zu entsorgen, sieht man unzählige Flaschen.

Kurze Zeit später die ersten Zwischenfälle: Journalisten werden körperlich angerempelt, angepöbelt, fotografiert. Die Rechten wollen ihr Problem mit der „Lügenpresse“ gerne handfest lösen. Polizei und Kameraden hindern sie daran. Manchmal. Als sich der Demonstrationszug aufstellt, kommt er nur wenige Meter weit. Hinter der Polizeikette machen Medienvertreter die ersten Fotos und Filmaufnahmen. In die Gruppe aus Beamten und Journalisten fliegt plötzlich der erste Knallkörper. Ein Chinaböller mit ungeheurer Wucht. Als er auf uns zu fliegt, höre ich Warnrufe. Darauf zu reagieren, fällt mir schwer. Aus welcher Richtung kommt der Knallkörper? Wohin fliegt er? Wo bin ich sicher? Ich mache einen Schritt zur Seite. Zum Glück auf die richtige. Etwa einen halben Meter neben mir explodiert der Böller, ich spüre die Druckwelle am Bein. In den nächsten Minuten fliegen weitere Geschosse – mehrere Polizisten erleiden Knalltraumata. Sie können nicht so ohne weiteres zur Seite gehen, müssen sie doch die Absperrung weiter gewährleisten.

Presse und Polizei als Zielscheiben

Dann sind da noch die Bierflaschen: Entgegen der Anweisung der Polizei haben viele Rechte ihre Bierflaschen nicht abgegeben, auf die Erstattung des Pfandgeldes großzügig verzichtet. Mit voller Wucht werden die gläsernen Geschosse nun auf Presse und Polizei geschleudert. Polizisten setzen ihre Schutzhelme auf, auch einige Journalisten haben welche dabei. Polizeifahrzeuge werden von den Flaschen getroffen. Scherben, die beim Zerschellen der Flaschen entstehen, werden zu gefährlichen Waffen. Auch Steine fliegen. Journalisten und Polizisten können meist ausweichen, weil man die größeren Gegenstände besser anfliegen sieht als die Böller. Man warnt sich gegenseitig. In der Regel geht das gut. Aber nicht immer. Es gibt mehrere, die zumindest leicht verletzt werden: Schnittwunden, Knalltraumata, blaue Flecke von Wurfgeschossen – oder mehr: Diesmal muss auch ein Journalist vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden. Kurz darauf schickt die Kölner Nachrichtenagentur teleact noch während der Demonstration eine E-Mail an die Polizei: „Wir fordern die Polizei unmissverständlich auf, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen – insbesondere eine sofortige Personalienfeststellung  von gewaltbereiten Veranstaltungsteilnehmern – um den Schutz von Pressevertretern zu gewährleisten.“ In der aufgeregten Situation vor Ort scheint den Beamten das aber kaum möglich zu sein. Ich selbst habe Glück, habe nur ein wenig Schmerzen am Fuß, wo mich ein Pflasterstein getroffen hat.

Der Wasserwerfer wirkt nur bedingt

Es ist kein schönes Gefühl, inmitten zahllos herum fliegender Flaschen, Steine und Böller zu stehen. Angegriffen zu werden, nur weil man seinen Job macht. Als Journalistin oder Journalist. Weil man berichten will. Es dauert dann quälend lange, bis die Polizei einschreitet. Mit Wasserwerfern die Täter zurück drängt. Einzelne festnimmt. An diesem Samstag in Köln hat es sich wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Sicherheitsbehörden die Medienvertreter schützen. Gelungen ist das bis zu einem gewissen Grad. Gegen übermächtige Gewalt der Rechtsaußen-Machos erscheint die Staatsmacht aber zuweilen machtlos. Selbst der Wasserwerfer kann da nur bedingt helfen. Es wird immer deutlicher: Wir müssen uns damit beschäftigen, wo die Grenzen des Demonstrationsrechts sind, wenn blinde Angriffswut herrscht. Wir müssen Konzepte suchen und finden, wie Polizei die Bedürfnisse unabhängiger Berichterstatter in solchen Situationen sicherstellen kann. Die Pressefreiheit muss nicht nur im Schatten des Kölner Doms verteidigt werden – sondern auch in den vielen anderen deutschen Städten, in denen Extremisten Journalisten angreifen.

Video: Marco Petrikat