Von Frank Überall, DJV-Bundesvorsitzender
Es hat ein bisschen etwas von einer Klassenfahrt. Es ist Mitte März, und in der Dresdner Innenstadt ist es kalt. An einem Kiosk wird Glühwein für einen Euro verkauft. Viele Menschen auf dem Altmarkt aber haben eigene Thermoskannen mitgebracht. Rund 3.000 haben sich versammelt. Journalistinnen und Journalisten beobachten die Szenerie mit einem dumpfen Gefühl im Magen. Zu oft hat es hier Übergriffe auf Medienvertreter gegeben. An diesem Abend schaue ich auch zu.
Um es vorweg zu nehmen: Es war ein ruhiger Abend, nicht so aufgeregt und gewaltbelastet wie viele Treffen der Pegida-Anhänger sonst in Dresden. Es gibt nur verbale Gewalt, und die richtet sich an diesem Tag gegen demokratische Politiker. Mit ehrabschneidenden Worten wird Bundeskanzlerin Angela Merkel bedacht, und auch die prominenten Vertreter anderer Parteien werden kräftig beschimpft. „Merkel muss weg“, ist ein Sprechchor, der immer wieder zu hören ist. „Widerstand“, rufen die Menschen auch. Und immer wieder: „Widerstand!“
Sobald jemand mit einer deutlich sichtbaren Kamera oder mit einem Mikrophon auftaucht, wird es rundum ganz still. Man geht auf Abstand, und die Journalisten haben gelernt, dass es hier keinen Sinn macht, große Gespräche zu führen. Das wollen die Menschen auch nicht, die hier demonstrieren. Sie wollen offenbar das geschlossene Gemeinschaftserlebnis. Hetzen gegen etablierte Politik, Schimpfen gegen die Medien, das Loblieb auf Deutschland singen. Auf ihr Deutschland.
Dieses Deutschland ist ein anderes als ich es kenne. „NAZI“ steht auf einem Plakat, das in einer der ersten Reihen gut zu sehen ist. Schaut man genauer hin, sieht man die Auflösung der plakativen Selbstbezichtigung: „Nicht An Zuwanderern Interessiert“. So etwas ist auf dem Dresdner Altmarkt an diesem Abend nicht nur salonfähig. Der Träger des Plakats wird sogar mehrfach mit Mitdemonstranten gelobt. Man kennt sich, man vergewissert sich gegenseitig, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der rechten Seite. Ganz weit rechts.
Der Bereich rund um die Bühne ist abgesperrt. Ordner herrschen hier mit strengen Blicken. Auch mit Presseausweis darf man sich den Rednern nicht nähern, um beispielsweise Fotos zu machen. Ein Kamerateam des ZDF muss hinter der Absperrung verharren. Nur einige Journalisten, die von den Pegida-Organisatoren auserwählt wurden, dürfen sich weiter nähern. Ich gehöre nicht dazu.
Am Rande der Veranstaltung spreche mich mit mehreren Journalistinnen und Journalisten. Man merkt, wie sehr sie die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate mitgenommen haben. Nach außen hin haben sie sich an die körperliche und verbale Gewalt gewöhnt. Spricht man länger mit ihnen, stellt man fest, dass das nur eine professionelle Fassade ist. Die Tatsache, dass jederzeit wieder ein Übergriff passieren kann, lastet innerlich schwer auf ihnen. Manche haben sich bereits psychologische Hilfe geholt. Aber darüber spricht in der Öffentlichkeit niemand gerne.
Von der sächsischen DJV-Landesvorsitzenden Ine Dippmann und vom örtlichen DJV-Geschäftsführer Michael Hiller erfahre ich, dass sie im Gespräch mit dem Landesinnenministerium und mit der Polizei sind. Es tut sich etwas in Sachsen. Die Polizei guckt nicht mehr zu, wenn Journalisten bedroht oder angegriffen werden. Vor wenigen Wochen noch war das anders. Enthemmte Gewalt von Seiten der Pegida-Teilnehmer vor allem gegenüber Kameraleuten wurde zum Standard. Anstalten wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) schicken ihren Reportern längst Sicherheitsleute mit. An diesem Abend auch.
Bei einem großen Teil der Demonstranten herrscht unterdessen eine gelöste Stimmung. Wie auf einer Klassenfahrt eben. Es ist das Gemeinschaftserlebnis, das verführt. „Merkel muss weg“, wird wieder gerufen. Das ist der Schlachtruf all derer, die irgendwie politisch unzufrieden sind. Von den Pegida-Organisatoren wird der AFD zu den guten Ergebnissen bei den jüngsten Landtagswahlen gratuliert. Tatjana Festerling hetzt gegen Politiker und Medien. Ein paar grimmig schauende Pegida-Anhänger beäugen jeden interessiert und skeptisch, der Journalist sein könnte. Eine Mistgabel steht symbolisch auf der Bühne. Eigentlich doch ganz gut, dass Medienvertreter diesem Ort nicht so nahe kommen dürfen…