Prof. Dr. Fabian Virchow leitet die Forschungsstelle Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf. Der viel gefragte Experte berichtet im Interview mit Frank Überall über seine aktuellen Studien und eine zunehmend gewaltbereite Szene.
Überall: Es gibt offenbar häufig ein Spannungsfeld zwischen Demonstrationsfreiheit auf der einen und Pressefreiheit auf der anderen Seite. Wie sind Ihre Beobachtungen in den letzten Monaten? Hat sich die Lage gegenüber Journalistinnen und Journalisten zugespitzt?
Virchow: Auch wenn es keine präzisen empirischen Erhebungen gibt, ist ohne Zweifel von einer Eskalation auszugehen, die sich in den letzten zwölf Monaten abzeichnet. Bereits früher hat es ja bei neonazistischen Aufmärschen verbale und körperliche Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen gegeben. Inzwischen wird dies von etlichen der zahlreichen Demonstrationen berichtet, die im Zuge von Pegida bundesweit täglich stattfinden.
Allerdings würde ich nicht von einem Spannungsfeld zwischen Versammlungsfreiheit einerseits und Pressefreiheit andererseits sprechen. Es gibt ja seitens der Medien keine Angriffe auf die Demonstrationsfreiheit. Diese berichten von den Demonstrationen, die als Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfinden und zu denen Berichterstattende schon von daher freien Zugang haben (müssen). Das Problem geht umgekehrt von einem schwer quantitativ zu beziffernden Teil der an diesen Aktionen Teilnehmenden aus, die nicht nur stereotyp negative Vorstellungen über ‚die Medien‘ haben, sondern in einigen Fällen diese Berichterstattung auch durch Angriffe beeinflussen beziehungsweise einschränken möchten.
Ist eine Neigung zur Gewalt typisch für die rechte oder rechtsextreme Szene?
Das ist insofern typisch, als in dieser Szene Gewalt als ein legitimes Mittel angesehen wird, sofern damit – nach eigener Wahrnehmung – Unbill vom ‚deutschen Volk‘ abgewendet werden kann. Die steigende Zahl rassistischer Gewalttaten – ob jetzt aus dem organisierten rechten Spektrum oder nicht – verweist ja darauf, dass dort die Entwicklung des letzten Jahres als apokalyptische Vorstellung und Bedrohung gesehen wird, der man sich auch mit dem Mittel der Gewalt entgegenstemmen müsse. Das führt dann zu entsprechenden Akten rassistischer gewaltsamer Selbstermächtigung. In welchem Umfang das dann auftritt, wird nicht zentral gesteuert; allgemein unterliegt die Anwendung von rechter Gewalt auch Opportunitätskriterien der jeweiligen Akteure.
Der Begriff der „Lügenpresse“ eint Rechtsextremisten und diejenigen, die sich selbst als „besorgte Bürger“ bezeichnen. Handelt es sich um einen politischen Kampfbegriff oder eine berechtigte Kritik?
Kritik am Journalismus zu formulieren – sei es beispielsweise an Fehlern in der Berichterstattung, am sogenannten ‚Rudelverhalten‘ oder der Randständigkeit investigativer Recherche – ist meines Erachtens berechtigt und notwendig. Das wird ja auch unter Journalisten und Journalistinnen getan, bleibt aber häufig aufgrund der Produktionsbedingungen folgenlos. Der Begriff ‚Lügenpresse‘ beinhaltet aber etwas anderes, nämlich dass ‚die Medien‘ – und zwar von den öffentlich-rechtlichen Sendern bis hin zu den Printmedien – systematisch ‚das Volk‘ belügen, ihm wichtige Informationen vorenthalten und durch Sprachregelungen und vereindeutigte Deutungsangebote bestimmte Entwicklungen, insbesondere Einwanderung und religiöse und kulturelle Pluralität, gegen eine angebliche Stimmung in der Bevölkerung durchsetzen wollen. In solch undifferenzierter Verwendung bringt der Begriff ‚Lügenpresse‘ ein Feindbild zum Ausdruck und markiert entsprechend generell den Journalismus. Insofern ist er ein Kampfbegriff, der zudem regelmäßig in Kontexten aufgerufen und formuliert wird, wo Journalisten und Journalistinnen als individuelle Personen in Ausübung ihres Berufes erkennbar sind.
Sie beschäftigen sich wissenschaftlich mit dem Medienbild von Rechtsextremisten, arbeiten an einer aktuellen Studie dazu. Gibt es erste Erkenntnisse?
In diesem Projekt geht es insgesamt darum nachzuvollziehen, wie die extreme Rechte in Deutschland Innovationen in der Medientechnologie bewertet hat, welches Medienhandeln und -angebot es aus diesem politischen Spektrum gibt und wie die mediale Berichterstattung zum Rechtsextremismus aussieht. Beim letzten Punkt werden wir uns aus Ressourcengründen derzeit auf eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung beschränken. Im Kontext des Anlasses für unser Gespräch ist wohl am wichtigsten, dass ‚die Medien‘ als Teil der demokratischen Gesellschaft grundsätzlich als politischer Gegner, wenn nicht gar Feind betrachtet werden. Dabei wird dann vielfach auf die Lizensierung durch die Alliierten nach 1945 verwiesen und dann behauptet, dass schon daran erkennbar sei, dass diese Medien ‚fremden Interessen‘ dienen würden. Oder es wird beklagt, dass ‚die Medien‘ etwa hinsichtlich Fragen von Geschlechtergleichstellung, Migration oder religiöser Vielfalt ‚deutschenfeindlich‘ seien. Insofern gelten ‚die Medien‘ der extremen Rechten als ‚Volksfeinde‘, die für Ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen seien, weil sie keine völkischen Positionen vertreten.
Wie sollten Medienvertreter auf die zunehmende Bedrohung durch Extremisten reagieren?
Wichtig erscheinen mir folgende Aspekte: Erstens geht es hier nicht alleine um Angriffe auf einen Berufsstand, sondern um einen grundlegenden Angriff auf die Freiheit der Medien und der Berichterstattung. Insofern wäre es m.E. wichtig, das Ausmaß und die konkreten Konstellationen der Angriffe (offline, online) in einem Monitoring zu erfassen. Das wäre auch wichtig, um ggfs. Muster und organisierende Akteure erkennen zu können.
Zweitens müssen diese Übergriffe und Bedrohungen öffentlich gemacht werden in einer Form, die mit den jeweils Betroffenen abgestimmt ist.
Drittens müssen die Berufsverbände auch weiterhin klar Stellung beziehen.
Viertens wäre eine Einschränkung der Berichterstattung ein falsches Signal; sie würde im Übrigen auch nichts ändern, sondern die Hetzenden nur weiter ermutigen.
Und fünftens: Um zu verhindern, dass die große Zahl derjenigen, die keine ‚hohe Meinung‘ vom Journalismus haben, ihre Skepsis zu einem hermetischen Bild ‚der Medien‘ verdichten (‚Lügenpresse‘), bedarf es eines kontroversen Journalismus, der seine Aufgaben Berichterstattung und Kommentierung auf der Basis menschenrechtlicher Positionen ausbaut und zugleich seine Fehler öffentlich diskutiert und dokumentiert.
Literaturempfehlung: Fabian Virchow (2016): Nicht nur der NSU – Eine kleine Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung. Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.) (2016): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag