Bautzen gilt als Hochburg des Rechtsextremismus und ist aktuell wieder ständig in den Schlagzeilen, zuletzt wegen der rassistischen Ausschreitungen Mitte September. Auch am 7. Oktober hatten sich dort wieder rund 300 Rechtsextreme und Sympathisanten auf dem Kornmarkt zu einer Demonstration versammelt. Der Fotograf Björn Kietzmann war vor Ort:

 

21 Stunden nach meiner Rückkehr aus dem Bürgerkriegsland Kolumbien, wo ich rund zwei Monate ohne bedroht oder angegriffen zu werden über den dortigen Friedensprozess berichtete, sitze ich gemeinsam mit einem befreundeten Agenturfotografen im Auto auf dem Weg ins sächsische Bautzen, wo am Abend Rechtsradikale aufmarschieren wollen. Ich bin Fotojournalist, zu meinen Arbeitsschwerpunkten zählen politische und soziale Gesellschaftsthemen, regelmäßig beschäftige ich mich auch mit Rechtsradikalismus. Fahrten nach Sachsen sind inzwischen leider Routine geworden. Da Übergriffe auf Pressevertreter keine Seltenheit darstellen, hielt ich zuvor Rücksprache mit Kollegen, die in den letzten Wochen in Bautzen arbeiteten. Sie berichteten unter anderem über Rechte, die gezielt Ausschau nach Fahrzeugen mit auswärtigen Kennzeichen hielten und dass sie sich nur bedingt von der Polizei geschützt fühlten. Ihr Rat: Parkt bloß nicht zu weit weg vom Versammlungsort, sondern bleibt dort, wo die Polizei präsent ist – und passt gut auf euch auf!

In Bautzen angekommen, versammeln sich nach und nach die ersten Neonazis in der Innenstadt. Viele von ihnen sind vermummt, einer grüsst lautstark mit der in Deutschland verbotenen Parole „Sieg Heil“. Die Polizei, die mit zahlreichen Bereitschaftskräften anwesend ist, greift zu diesem Zeitpunkt in keiner Form ein. Es erfolgt nicht einmal eine Durchsage, dass die Vermummungen abzulegen sind.

Wenig später informiert mich der Kollege, mit dem ich zusammen angereist bin, dass ein Versammlungsteilnehmer auf ihn zukam, ihn abfotografierte und lautstark seinen Kameraden mitteilte, dass es sich uns beiden nicht um Pressevertreter handeln würde. Wir kämen aus Berlin und seien von der Antifa. Der Hintergrund – dieses im Laufe des Abends mehrfach wiederholten – Aufwiegelns liegt vermutlich in einem von Neonazis vor rund zwei Jahren erstellten Steckbrief. Unter der Parole ”Vorsicht Antifa-Fotografen“ prangen Portraits und Klarnamen von Berliner Fotojournalisten, die zuvor über rechtsradikale Aktivitäten berichteten.

Mit der allmählich einsetzenden Dunkelheit folgen auf das Gemurmel über die Lügenpresse erste forschere Bedrängungen von Pressevertretern. Zu diesem Zeitpunkt haben sich rund 200 Rechtsradikale auf dem Platz versammelt. TV-Teams und Fotografen am Rande der Kundgebung werden die Kameras zugehalten und auch der Aufwiegler ist wieder da. ”Der hier ist von der Antifa”, brüllt er mehrmals und zeigt mit dem Finger auf mich. Einige vermummte Neonazis halten raschen Schrittes auf mich zu. Aufgrund der zahlreich anwesenden Polizisten vermute ich irrtümlich, dass diese sich lediglich bedrohlich vor mir aufbauen und meine Kamera zuhalten werden. Es folgte ein frontaler Schlag gegen meine Kamera, wodurch die Gegenlichtblende zerstört wird und das Gehäuse in mein Gesicht prallt.

Ich taumele einen Schritt zurück. Nachdem klar ist, dass auf diesen Schlag nicht unmittelbar ein Zweiter folgt, wende ich mich einem nahebei stehenden Polizisten zu. ”Ich wurde gerade angegriffen – ich möchte eine Anzeige erstatten.” Der Beamte reagiert einfach nicht, als wäre er taub. Ich gehe ein paar Meter weiter und spreche weitere Einsatzkräfte an. Erst der dritte Polizist reagiert auf meine Schilderungen. Ihm und seinen Kollegen zeige ich den nach wie vor vermummten Angreifer, der im Kreis seiner Kameraden unweit von der Stelle steht, wo die Attacke erfolgte. Der Bereitschaftspolizist deutet mir den Weg zu zwei anderen Beamten, die sich anschließend um die Anzeigenaufnahme kümmern. Meine Aussage wird von einem anwesenden Zeugen gestützt, außerdem gibt es Bildmaterial von der Attacke.

Eine unmittelbare Feststellung der Personalien des Vermummten erfolgt nicht. Das oberste Ziel sei es, erklärt mir einer der Polizisten, dass der Abend hier ruhig verlaufe. Man werde versuchen, die Personalien des Angreifers im späteren Verlauf festzustellen. Es könne jedoch auch passieren, dass dieses nicht gelinge. Weshalb ich mich bitte nicht wundern solle, wenn mir später mitgeteilt werde, dass das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt geführt werde.

Kurz darauf beginnen die Neonazis mit ihren Hassreden. Über den Lautsprecherwagen wird gegen die ”Medienhuren des Systems” gehetzt, die Bundeskanzlerin als ”Fotze” beschimpft. Beim anschließenden kurzen Marsch durch die Altstadt stimmte der Mob unter anderem ”Lügenpresse auf die Fresse”-Rufe an. Dass der Angreifer später am Abend von der Polizei aufgegriffen und kontrolliert wird, erfahre ich erst, nachdem ich zurück in Berlin bin. Zumindest bis dahin fragte ich mich, wie sinnvoll eine Polizeitaktik ist, die auch beim Auftreten von Gewaltdelikten in erster Linie darauf abzielt, den Veranstaltungsverlauf „nicht stören” zu wollen. Gewaltbereite Nazis dürften sich in ihrem Denken und Handeln bestärkt fühlen, wenn sie beobachten, wie Mitstreiter vor den Augen der Beamten offenbar folgenlos zur Tat schreiten, weil eine unmittelbare Reaktion der Staatsgewalt ausbleibt.

 

Wie die Polizei Sachsen die Vorfälle  bewertet, ist hier nachzulesen,