Heiko Maas (SPD)  ist seit dem Dezember 2013 Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz im Kabinett Merkel.  Im Interview mit dem DJV-Bundesvorsitzenden Frank Überall sprach er über körperliche und verbale Gewalt gegen Journalisten,  Medienpolitik und die Situation der Pressefreiheit in Deutschland.


Seit Monaten beobachten wir, dass Journalistinnen und Journalisten vor allem bei rechten Demonstrationen angegriffen werden. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?
Ja. Das geht Journalisten so und auch vielen Kommunalpolitikern oder Ehrenamtlichen etwa in der Flüchtlingshilfe. Das gesellschaftliche Klima verändert sich – es wird rauer, das geht bis hin zu tätlichen Angriffen. Ein Angriff – wenn auch nicht tätlich – ist es aber übrigens aus meiner Sicht auch, wenn einzelne Journalisten etwa bei AfD-Parteitagen von der Möglichkeit zur Berichterstattung ausgeschlossen werden. Auch das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit. Was die tätlichen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten angeht, hat ‚Reporter ohne Grenzen‘ für das letzte Jahr 40 solcher Fälle in Deutschland registriert – eine absolut erschreckende Zahl; jeder einzelne Angriff ist einer zu viel. Was sich Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen anhören müssen und was sie über sich ergehen lassen müssen, ist teilweise strafrechtlich relevant. So etwas muss geahndet werden. Dagegen muss die Justiz sehr konsequent vorgehen. Wichtig ist, dass sich Journalistinnen und Journalisten in einer solchen Situation darauf verlassen können, dass der Staat – und damit auch die Polizei – sie in ihrer Berufsausübung, die Grundlage der Pressefreiheit ist, schützt.

Die Justiz in den Bundesländern scheint an der einen oder anderen Stelle – so unsere Rückmeldungen von der Basis – bei Beleidigungen, Bedrohungen oder gar gewalttätigen Angriffen auf Journalisten/innen oft nicht intensiv genug zu ermitteln. Wir haben das im Kulturausschuss des Bundestages bei Anhörungen bereits zum Thema gemacht. Muss die Justiz aus Ihrer Sicht da genauer hinschauen?
Ich glaube, dass hatte was mit der Überlastung der Justiz zu tun. Aber es ist in der letzten Zeit im Sicherheitsbereich, insbesondere bei der Polizei, sehr viel geschehen. Die Länder sparen nicht mehr ein, sondern weisen zusätzliche Stellen aus. Das war überfällig und beginnt zum Glück jetzt auch bei der Justiz. Genug Personal ist letztlich eine Voraussetzung dafür, dass eingeleitete Strafverfahren konsequent verfolgt werden können. Wenn Journalistinnen und Journalisten vor Ort an ihrer Berufsausübung gehindert werden oder sich irgendwann aus Selbstschutz die Frage stellen, ob bestimmt Termine nicht zu gefährlich sind, dann müssen wir das sehr ernst nehmen. Da droht etwas in unserem Land Platz zu greifen, was strukturell geeignet ist, die Pressefreiheit zu beschädigen.

In Bezug auf Angriffe gegen Polizistinnen und Polizisten sollen die Gesetze verschärft werden. Das ist mit Blick auf Medienvertreter sicher nicht der richtige Weg – welche Lösungsmöglichkeiten können Sie sich für uns vorstellen?
Zunächst einmal werden Journalisten natürlich auch durch die vielen allgemeinen Bestimmungen im Strafgesetzbuch geschützt. Wichtig ist dabei immer, dass der Rechtstaat auch durchgesetzt wird. Ich kann deshalb Journalistinnen und Journalisten nur ermuntern, Übergriffe zur Anzeige zu bringen – auch wenn es manchmal beschwerlich ist und zusätzliche Arbeit bedeutet. Nur so bekommen wir einen Überblick über die Situation der Journalistinnen und Journalisten. Und nur dann kann der Rechtstaat auch entsprechend reagieren. Dennoch glaube ich, dass es darüber hinausgehend ein Thema ist, wie sich das Klima in unserer Gesellschaft weiter entwickelt. Das muss auch Gegenstand der Berichterstattung sein, bis hin zu der Frage, wie Journalistinnen und Journalisten an ihrer Arbeit gehindert werden.

Es gibt zunehmend auch verbale Gewalt gegen Journalisten – beispielsweise in sozialen Netzwerken. Wie sollten wir damit umgehen?
Jeder muss selber wissen, wie er damit umgeht. Ich war vor kurzem in einer Polizeidienststelle in Berlin. Dort hat mir die Leiterin des Abschnitts berichtet, dass die tätlichen Angriffe häufiger und die Beleidigungen brutaler werden. Aber sie hat auch gesagt: ‚Ich entscheide, wer mich beleidigt.‘ Das fand ich einen ganz beeindruckenden Satz. Aber ich finde, in den sozialen Netzwerken ist es am offensichtlichsten, was sich gerade in der Kommunikationsstruktur unserer Gesellschaft verändert. Da gibt es Dinge, die wir so aus der Vergangenheit nicht kennen. Da gibt es eine Form der verbalen Enthemmung, die viel zu oft auch die Vorstufe von körperlicher Gewalt ist. Im letzten Jahr hat die Hass-Kriminalität um etwa 170 Prozent zugenommen, auch politisch motivierte Gewalttaten stiegen dramatisch. Dass es da einen Zusammenhang gibt, liegt auf der Hand. Da müssen wir auch die sozialen Netzwerke stärker in die Pflicht nehmen, wenn es darum geht, Dinge aus dem Netz zu löschen, die Straftatbestände erfüllen. Und dazu haben wir ja jetzt auch einen konkreten Regelungsentwurf vorgelegt. Wir wollen mehr Transparenz. Wir wollen von den Netzwerken wissen, wie viele Dinge werden gemeldet, wie viele gelöscht. Wenn die Plattformbetreiber sich nicht an unser Recht halten, drohen ihnen nach unserem Vorschlag auch hohe Bußgelder. Strafbare Inhalte haben einfach im Netz nichts zu suchen. Da mussten wir den Druck erhöhen. Aber die Diskussion muss auch darüber hinausgehen. Auch die Justiz muss Hasskriminalität und strafbare Fake News sehr entschlossen verfolgen. Und wir müssen uns bewusst sein: Das bleibt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Ich glaube, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland in einem toleranten Land leben will, in dem die Menschen sich mit Respekt gegenübertreten. Aber es reicht halt nicht, wenn die Mehrheit das zwar so sieht, aber einfach schweigt. Wir alle dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen im Internet bedroht und verunglimpft werden. Dann kann jeder von uns seine Stimme erheben. Wir können alle gemeinsam Gesicht zeigen und für Toleranz und Menschenwürde eintreten. Das wird ganz wichtig sein, neben dem, was wir an verschärften Bedingungen für die Betreiber von sozialen Netzwerken festlegen.

Wie Sie sicher wissen, stehen wir als DJV einem staatlichen „Abwehrzentrum“ gegen „Fake News“ kritisch gegenüber. Wie ist da Ihre Position?
Wir werden in einer freien Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit gilt, keine Wahrheitskommission einrichten. Aber: Insbesondere Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede sind eben nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auch da müssen die Plattformbetreiber etwas tun. Und bei Dingen, die im Graubereich sind, wo es sehr schwer ist festzustellen, was noch Meinungsfreiheit ist oder was strafbar ist, weil zum Beispiel jemand verleumdet wird, muss die Entscheidung über diese Frage letztlich den Gerichten vorbehalten bleiben. Staatlich oder staatsnah Kommissionen oder Einrichtungen zu schaffen, die entscheiden, was richtig ist und was falsch, das wird nicht funktionieren.

Bei Vorratsdatenspeicherung, BND-Gesetz, Schutz von Whistleblowern und anderen Themen haben viele unserer Mitglieder zuweilen den Eindruck, die Interessen der Journalistinnen und Journalisten würden nicht hinreichend berücksichtigt. Manche sehen sogar die Pressefreiheit in Deutschland in Gefahr.
Bei den Gesetzen, die wir hier machen, muss man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass es – auch bei denen, die komplex sind wie etwa die Datenhehlerei – immer besondere Bestimmungen für die Berufsausübung von Journalistinnen und Journalisten gibt, wodurch sie explizit geschützt werden.

Bekommen wir bald ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene?
Zumindest nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben wir das ja schon. Und es wird ja auch angewandt und von Journalistinnen und Journalisten genutzt. Sie wissen, dass die SPD das immer positiv begleitet und sogar in der letzten Legislaturperiode einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht hat. Es ist mit der Union im Koalitionsvertrag aber nicht zu vereinbaren gewesen. In diesem Jahr sind allerdings Bundestagswahlen. Da wird das Thema sicher noch mal auf die Tagesordnung kommen. Wir stellen in unserem Ministerium bereits alle Länder- und Verbändeanhörungen zu Gesetzen, die hier gemacht werden, ins Netz, das kann jeder einsehen. Ich finde, über den Auskunftsanspruch hinaus kann da jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten überlegen, was er selber dazu beitragen kann, für größtmögliche Transparenz zu sorgen.

Herr Maas, vielen Dank für das Gespräch