Sebastian Fiedler ist Vize-Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und Landesvorsitzender seiner Organisation in NRW. Die Spitze der Kripo-Gewerkschaft beschäftigt auch die zunehmende Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten. Im Interview mit augenzeugen.info berichtet Fiedler über die Schwierigkeiten, Täter dingfest zu machen und die rechtliche Verpflichtung, Medienvertreter bei Demonstrationen zu schützen. 

 

Sebastian Fiedler

Sebastian Fiedler

Das Gespräch mit Sebastian Fiedler führte Frank Überall.

Journalistinnen und Journalisten werden immer häufiger bei Demonstrationen angegriffen – am häufigsten von Rechtsextremen. Ich habe den Eindruck, dass die Täter nur selten gefasst und bestraft werden. Woran liegt das?

Solche Tumult-Delikte, die aus der Deckung einer großen Menschenmenge heraus begangen werden, gehören zu den schwierigsten Ermittlungsszenen. Da ist es schwierig Zeugenaussagen zu generieren. In einem Tumult, der auch emotional beladen ist, sind solche Zeugen eben schwer zu finden. Eine Chance sind Videoaufnahmen von den Beweis-Sicherungstrupps der Einsatzhundertschaften – wenn sie denn gerade zugegen sind und wenn sie solche Aufnahmen machen… Häufig aber sind die Täter maskiert, haben sich Skimasken oder Ähnliches übergezogen. Es gehören eine Menge Mühe und kriminalistische Feinarbeit dazu, aus einer solchen Menge heraus den einzelnen Täter zu ermitteln, um ihm dann noch die jeweilige Tat zuzuordnen.

Manche argumentieren, es gibt ja auch noch andere gewaltbereite Extremisten – von Links oder aus dem radikal religiösen Bereich des Islam. Die Kriminalpolizei, die Sie vertreten, ermittelt mit ihren Staatsschutz-Abteilungen ja auch in diesen Bereichen. Spielt der Rechtsextremismus denn eine besondere Rolle?

Dieses Phänomen ist ein größeres und zunehmendes Problem. Das erkennt man ja nicht nur an diesen Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen. Das erkennt man auch daran, dass Asylbewerberheime in hoher Anzahl angegriffen worden sind. Dann liegt es natürlich auch an der Zunahme solcher Demonstrationen überhaupt. Ich glaube, dass wir diesem Phänomen immer mehr Ermittlungskapazität und das staatliche Gewaltmonopol entgegen setzen müssen.

Schutz- und Bereitschaftspolizei klagen über Personalnot. Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Kripo sieht man vor Ort meist nicht, weil sie ohne Uniform unterwegs sind. Gibt es denn genug Kripo-Leute, um die gewaltbereite Extremisten-Szene aufzuklären?

Sicher nicht. Immerhin haben wir in der Vergangenheit zusätzliche Dienststellen geschaffen, insbesondere auch nach den Fehlern, die bei der Aufklärung der Morde des so genannten NSU begangen wurden. Das ist aber immer dann ein Problem, wenn der Aufbau dieser Dienststellen begleitet wird vom Aufkommen zusätzlicher Kriminalitäts-Phänomene, die wir mit dem gleichen Personalbestand abdecken müssen. Wir sind hier auf keinen Fall zufrieden. Es werden ja nicht nur Ermittler gebraucht, die diese Szene im Hintergrund aufklären – während der Demonstrationen muss die Kripo ja auch aktiv sein. Dort sind zum Beispiel auch in den so genannten Gefangenen-Sammelstellen immer auch Kriminalbeamte aktiv. Wir sind an allen Ecken und Enden gefordert und können nicht überall so aktiv sein, wie das eigentlich gefordert wäre und wir es uns wünschen würden.

Gibt es bei der Kriminalpolizei denn überhaupt genug Expertise, um Extremisten erfolgreich zu verfolgen?

Nein, auf keinen Fall in ausreichender Zahl. Das kann man unter anderem daran erkennen, dass wir nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und nach den weiteren Pariser Attentaten sowie nach den Anschlagsversuchen in Deutschland die Ermittlungskapazitäten für die Abwehr des islamistischen Terrorismus unheimlich aufstocken mussten. An diesen Stellen konnten wir schon erkennen, wie schwer es ist hinreichend qualifizierte Leute in diese Dienststellen hinein zu bekommen. Die Expertise, die wir auch bei den Ermittlungen zu rechtsextremistischer Kriminalität brauchen, ist sehr hoch. Wir müssen da in vielen Fällen den Ermittlungsstandard des Generalbundesanwalts erfüllen, der zu den höchsten kriminalistischen Anforderungen gehört. Da ist die Tischdecke äußerst kurz. Solche Kriminalisten wachsen ja nicht auf dem Baum. Wir müssen ja zunächst grundständig ausgebildete Kriminalbeamte nachbekommen, wenn beispielsweise Ältere pensioniert werden. Und die Neuen müssen wir dann erst einmal speziell fortbilden, um in diesen Deliktbereichen Expertise entwickeln zu können. Das ist ein echtes Problem, zumal NRW noch immer ausschließlich Schutzpolizisten ausbildet. Einen direkten Zugang zur Kripo über ein spezialisiertes Studium gibt es noch immer nicht. Das ist Personalentwicklung aus der Steinzeit.

Sie sind Polizist, ich bin Journalist. Wir sind aber beide Gewerkschaftler, und unsere Mitglieder haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Bei Demonstrationen werden wir angeschrien, angepöbelt, angegriffen. Was empfinden Sie da als Bürger?

Das führt insbesondere dazu, dass durch die Außenbetrachtung solcher Einsätze in der medialen Berichterstattung die Gefahr besteht, dass einerseits das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates schwindet. Andererseits sorgt das auch dafür, dass sowohl die Kollegen der Polizei als auch die Journalisten, die dort eigentlich ihrem Beruf nachgehen, dort zunehmend gehemmt unterwegs sind, wenn sie nicht den Eindruck haben, dass sie das tatsächlich so können, wie es ihre Aufgabe ist. Also kann die Schlussfolgerung daraus nur sein, dass man darüber nachdenken muss, wie man solche Szenen künftig vermeiden kann. Ich glaube, dass wir als Polizei unsere Konzepte einmal intensiv auf den Prüfstand stellen müssen. Wir müssen uns fragen, ob es immer damit getan ist, Präsenz zu zeigen und die Lage zu bereinigen – oder ob wir nicht ein größeres Gewicht auf beweiskräftige Maßnahmen und nachhaltige Verurteilungen legen müssen.

Müssen Journalisten auch über neue Konzepte nachdenken?

Aus meiner Sicht ist das nicht ihre Rolle. Ihre Aufgabe ist es, über solche Geschehnisse berichten zu können. Sie können meines Erachtens die Erwartungshaltung an den Staat richten, dass sie dabei ausreichend geschützt werden. Wir sind rechtlich dazu verpflichtet, Demonstrationen gegen Angriffe von außen zu schützen, ganz gleich ob uns als Polizei das Thema der Kundgebung gefällt oder nicht. Wir sind aus meiner Sicht aber genauso rechtlich dazu verpflichtet, Journalisten bei solchen Ereignissen bei der Ausübung ihres Berufes zu schützen.