Fallschilderung von Hendrik Pupat, freier Printjournalist, Leipzig

Der Leipziger Pegida-Ableger Legida mobilisiert selten mehr als eine dreistellige Zahl an Teilnehmern. Dafür gilt er als noch radikaler als das Dresdner Vorbild. Stadtbekannte Neonazis spazieren vereint mit Hooligans neben Wutbürgern, deren Schilder Putin um Hilfe bitten und zum Wohl der Bienen „Gegen den Einsatz von Pesdiziden“ (ja: „d“) sind. Ein beliebter Redner nennt sich, auf die Volkserziehung anspielend,  „Friedrich Fröbel“. Er jongliert rassistisch mit Intelligenzquotienten, fordert das Einschreiten der Bundeswehr gegen „völkerwandernde Invasoren“ und die sofortige Verhaftung Angela Merkels. Zwar wedelt Legida-Anführer Markus Johnke gern mit einer „Gegen Nazis“-Fahne, doch schon vorn am Banner steht eine Person, die Gegendemonstranten auch mal mit dem Kühnengruß provoziert. Und aus der Masse dahinter ertönen Neonaziparolen: „Wir wollen keine Asylantenheime“, „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, „Unsere Fahne, unser Land, maximaler Widerstand“.

„Volksverräter“ werden namentlich angegangen, Journalistinnen voller Hass als „Fotze“ beschimpft, männliche Kollegen als „Schwuchtel“. Sobald jemand nach Medienvertreter aussieht, schwellen „Lügenpresse“- und „auf die Fresse“- Rufe an. Sie treffen regelmäßig auch die studentische Initiative „Durchgezählt“, die seriös Teilnehmerzahlen ermitteln will – zwar lieben die zornigen Patrioten es, Umstehende mit Taschenlampen anzustrahlen, wen sie vor sich haben, erkennen sie dennoch nicht.

Rolle der Polizei

Um zu Legida zu gelangen, müssen in der Regel zwei Polizeigürtel durchschritten werden, das klappt selbst mit Presseausweis nicht immer reibungslos. In der Nähe der Demonstranten geht trotz Sicherheitsabstand bei plötzlichen Attacken mal eine Kamera zu Bruch (21.01.2015), mal wird ein Fotograf zu Boden gestoßen (13.10.2015). Am 20. April 2015 bedrängt ein szenebekannter Kampfsportler und Hooligan einen Kameramann, filmt ihn mit dem Smartphone, schubst. Anschließend bewerfen Hooligans aus dem Umfeld des 1. FC Lokomotive Leipzig den Kameramann mit Essen aus der Gulaschkanone, die Polizei greift nicht durch, ein Ordner entschärft die Situation. Manchmal gehen allerdings auch Ordner auf Journalisten los.

Dafür, dass die Polizei stets mit zig Hundertschaften präsent ist, zahlreiche Ermittler in zivil einsetzt und fleißig filmt, sieht sie erstaunlich wenig. Oder will sie nicht sehen? Am 30. Januar 2015 schlägt ein Polizist bei einem Fotografen selbst zu. So unangemessen Pauschalverdächtigungen sind: Dass NPD und Legida am 11. Januar 2016 aktuelle interne Polizeidokumente twittert, deutet erneut an, dass die hiesige Polizei ein Problem hat.

Zur Feier des Jahrestags

Ohnehin ist die Situation am 11. Januar 2016 verschärft. Zur Feier des ersten Jahrestags zieht Legida rund 3000 Teilnehmer an, zehnmal mehr als in der Vorwoche. Der Platz vor dem Naturkundemuseum ist gefüllt. Einen einigermaßen sicheren Standpunkt mit Blick auf die Bühne kann ich nicht finden. Ich umrunde den Platz, schaue wie gewohnt nach Botschaften – stets sind neue Merkel-Verunglimpfungen zu finden, die Kanzlerin ist liebstes Hassobjekt der Nationalisten.  Vorn am Wiesenrand ist die Bühne nicht einsehbar, daher finde ich dort Platz. Ich stelle mich mit den Hinterbeinen ans Absperrband, fünf, sechs Meter von einem Polizeiposten entfernt. Mein Teleobjektiv fokussiert gerade ein „Widerstand lässt sich nicht verbieten“-Banner, als sich mindestens zwei Legida-Teilnehmer rasch näheren. Der vordere stoppt nicht, sondern versucht, mich mit stattlichem Bauch umzustoßen, was zu meinem Glück misslingt. Die Kamera hätte einen Sturz nicht überstanden. Der Mann fährt mich aggressiv „Was machst Du hier?“ an, wobei mich sein alkoholisierter Atem aus nächster Nähe trifft. Im Wissen, dass jegliche Diskussion einen Pulk weiterer Demonstranten anzöge, laufe ich zu dem Polizeiposten, von dem ich annehme, er habe den Vorfall ohnehin beobachtet, und sage: „Dieser Mann hat mich körperlich angegangen, ich möchte das anzeigen.“

Vorfälle anzeigen

Polizeisprecher raten genau dazu: Vorfälle anzuzeigen. Mir sagt der angesprochene Beamte nun allerdings, dass Anrempeln nicht für eine Anzeige ausreiche. Haben die Polizisten zuvor noch mit austretenden Demoteilnehmern nett geplaudert, schlagen sie mir gegenüber einen schroffen Ton an. Die beiden Männer sind mir zur Polizei gefolgt. Der Rempler beschuldigt mich, ihn als „perverser Deutscher“ beschimpft zu haben. Frei erfunden. Doch der zweite gibt den Zeugen. Eine Frau, die bislang an einer Wand gestanden hat, kommt hinzu, um kundzugeben, dass ich schon die ganze Zeit auf dem Platz herumschlenkere und fragt, was das solle. Mir wird klar, was für ein Fehler es war, mich an die Beamten zu wenden.

Während die Polizisten mein Hilfegesuch zuvor abweisen, nehmen sie die fingierte Anzeige wegen Beleidigung willig auf. Mit der Überprüfung meiner Personalien nehmen sie sich Zeit, so dass ich die Redner verpasse. Zum Abschluss erhalte ich einen Platzverweis. Der Polizist, der mich hinter die Absperrung geleitet, meint noch, ich solle rüber zu den Gegendemonstranten gehen, dort sei es ohnehin interessanter. Diesen Rat habe ich von Polizisten schon öfter gehört. Als ich zurück an den Legida-Rand komme, singt Hannes Ostendorf, Frontmann von Kategorie C, von der Bühne herab „Leipzig gegen Salafisten“. Zielgruppe: rechte Hooligans. Das Publikum grölt mit. Kurz darauf rollt Legida-Anführer Markus Johnke, übrigens aus Wurzen, seine „Gegen Nazis“-Fahne aus und grinst.

Personenschutz beim MDR

Am selben Abend schlägt eine Frau einer MDR-Reporterin das Telefon aus der Hand und ins Gesicht. Der MDR reagiert darauf mit dem Einsatz von Personenschützern.

Die sächsischen Verhältnisse verleiten zu pauschaler Polizeischelte. Eine solche ist freilich unangemessen. Viele Polizisten leisten ihren Dienst freundlich und mit Augenmaß. Wieso die geschilderten Erlebnisse so unglücklich verliefen, bleibt allerdings offen.

Beunruhigend ist das Zeichen, dass die Polizisten zumindest in meinem Fall allzu willig ausgesendet haben: Sie geben Legida-Teilnehmern ihr Okay, Journalisten körperlich anzugehen, mehr noch, sie nehmen zudem eine fingierte Anzeige auf. Ich hoffe, dass das ein Einzelfall ist und bleibt, fürchte jedoch, dass es Methode hat und sich häufen wird.